Manche sagen, Stuttgart besitze die Bahn mit Deutschlands schönster Aussicht.
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Eine Aussichtsplattform, die fahren kann | | | | | | | | | | | | | |
Wie
man eine Leiter hinaufklettert, weiß jeder. Die Zahnradbahn macht es
nicht anders: Wie der Frosch auf der Leiter erklimmt sie die Höhe. Die
"Leiter" ist die Zahnstange zwischen den Schienen. Die in Stuttgart
ursprünglich verwendete Bauart heißt deshalb auch Leiterzahnstange. Und
die „Hände“, welche in die "Sprossen" der Leiter eingreifen, sind die
breiten Noppen auf dem Zahnrad unter dem Wagen.
"Cog-railway", also Zahn-Eisenbahn, sagen deshalb auch die
Amerikaner; "Rack-railway" – die Bahn mit dem Gleis, das wie ein Rechen
aussieht – die Engländer. Die Stuttgarter nennen sie einfach die
"Zacke", auf gut schwäbisch sogar "Zacketse". Und sie mögen ihre schiefe
Bahn innig, auch wenn sie das nicht offen zugeben.
Englische Erfindung
Erfunden wurde das Verkehrsmittel Zahnradbahn sozusagen irrtümlich.
Die ersten Zahnstangenlokomotiven Anfang des 19. Jahrhunderts fuhren
nicht etwa am Berg, sondern auf der Ebene. Weil die flachen, spröden
Eisenschienen nicht viel aushielten, waren die Dampfloks sehr leicht
gebaut – sie zogen nicht viel und drehten rasch durch. So musste ein
Hilfsmittel her: die Zahnstange, in die (damals) versuchsweise eine
komplizierte Mechanik aus langen Stangen, eisernen Füßen ähnlich,
seitlich neben dem Gleiseingriff. Der britische Ingenieur John
Blenkinsop ließ sich anno 1812 die erste Lokomotive mit dem
namensgebenden Zahnrad patentieren. Als dann jedoch die schwere
Stahlschiene eingeführt wurde, brauchte die normale Eisenbahn keine
Zahnstange mehr. So waren die ersten Zahnradloks rasch vergessen.
Erst als Mitte des 19. Jahrhunderts eine völlig neue Branche aufkam –
der Tourismus – baute der Amerikaner Sylvester Marsh1869 die weltweit
erste Berg-Zahnradbahn: auf den Mount Washington in den USA. Dies war
die Initialzündung: Innerhalb der nächsten zehn Jahre entstanden vor
allem in Europa vielerorts Zahnradbahnen zur touristischen Erschließung
derm Bergwelt. Deutschlands erste Zahnradbahn von 1876 fuhr in
Württemberg und diente gewöhnlicheren Zwecken: Sie beförderte Eisenerz
vom Bergwerk Tiefer Stollen zur königlichen Gießerei Wasseralfingen bei
Aalen. 1883 folgte die Drachenfelsbahn zu Königswinter, Deutschlands
erste öffentliche Zahnradbahn.
Die Anfänge
Die Stuttgarter Zahnradbahn fährt seit 1884. Sie diente vor allem als
"Arbeiterbahn" von den Filderorten in die "Residenz". Außerdem
beförderte sie Feldfrüchte und Milchkannen zum Markt und Baustoffe in
die aufstrebende Landeshauptstadt. Damit wurde – wenn auch mühsam – Geld
verdient, und so hat sie nicht der Staat erbaut, sondern zwei
Unternehmer: Emil Kessler, Gründer der Maschinenfabrik Esslingen, und
Karl Kühner, Ziegeleibesitzer aus Degerloch. Kesslers Fabrik als
"Systemhaus" lieferte alles aus einer Hand – die aufwändigen
Gleisanlagen, die raffinierten Lokomotiven und die dazugehörigen Wagen.
Immerhin war "Esslingen" der weltweit zweitgrößte Hersteller von
Zahnradbahnen.
Heute gehört Stuttgarts Zahnradbahn zu den vier letzten ihrer Art in
Deutschland – neben der Drachenfels-, der Zugspitz- und der
Wendelsteinbahn. Und sie ist die einzige davon, die dem täglichen
Alltagsbetrieb einer Großstadt dient und "für ein Taschengeld" befahren
werden kann. Die prächtige Aussicht ist dennoch "im Preis drin" – und
das ganze Jahr ein Erlebnis!
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